Zeitzeuge

Oliver Kloss

Leipzig, Sachsen
* 1962

Allein sind sogar die Stärksten und Glücklichsten schwach, wenn sie organisierte Herdeninstinkte, wenn sie die Furchtsamkeit der Schwachen, die Überzahl gegen sich haben. (Friedrich Nietzsche)

Themen
  • Staatssicherheit
  • Opposition/Bürgerrechtsbewegung
  • deutsche Einheit
  • Bildung/Erziehung
  • historische Aufarbeitung
Sprache
  • Englisch

Biografisches

1962 in Seitschen bei Bautzen geboren; Schulbesuch in Dresden
1979-1981 Fachschulstudium am Institut für Lehrerbildung Löbau bis zur Exmatrikulation aus "disziplinarischen" Gründen zur "Bewährung in der Produktion"
1981 Begegnung mit Christoph Wonnebergers Initiative zum Sozialen Friedensdienst
1981 Mitverfasser des Aufrufs zum 13. Februar 1982 in Dresden ("OV Ruine" / "OV Pazifist")
1982-1985 Abitur am Theologischen Seminar Leipzig und Aufnahme des Theologiestudiums
1986 Antrag auf Ausreise aus der DDR; Gaststudent am Theologischen Seminar bis 1989
1986 Mitbegründer der Arbeitsgruppe Menschrechte Leipzig (OPK "Rechtler")
1987-1990 Vertreter der AGM im von Heiko Lietz moderierten DDR-weiten Arbeits- und Koordinierungskreis zum Wehrdienstproblem von Frieden konkret
15.03.1989 Rücknahme des Ausreise-Antrages, um an der Revolution mitzuwirken
1989/90 Vertreter der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) am Runden Tisch Bildung Leipzig
1990-1994 Landesgeschäftsführer der IFM Sachsen; Vorstand des Bildungswerks IFM e.V.
1995-2002 Magister Artium in Politikwissenschaft, Philosophie und Psychologie an der Universität Leipzig
2002-2012 Vorstandsmitglied im Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.
seit 1998 Mitarbeit im IFM-Archiv Sachsen e.V., seit 2016 Vorstandsvorsitzender
seit 2006 Lehrbeauftragter

Veröffentlichungen (Auswahl)

Oliver Kloss / Rainer Müller: Vorwort, in: Thomas Rudolph, Oliver Kloss, Rainer Müller, Christoph Wonneberger (Hrsg. im Auftrag des IFM-Archives e.V.): Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR vom August 1987 bis zum Dezember 1989. Bd.1, Leipzig, Araki, 2014, ISBN 978-3-941848-17-7, S. XV–XXXII.

Oliver Kloss: "Wir wollen raus!" Die Ausreise-Bewegung/"Keine Gewalt!" Die Kerze - Inbild der Gewaltfreiheit, in: Jörg Augsburg, Tobias Prüwer, Tommy Schwarwel (Hrsg.): 1989 – „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“. Der Almanach zur Friedlichen Revolution. (Das Buch zum gleichnamigen Zeichentrickfilm, Regie: Schwarwel). Leipzig, Glücklicher Montag, 2014, ISBN 978-3-9815274-6-9, S. 57 und 63.

Oliver Kloss: Offene Worte an Leipziger „Aktivistinnen und Aktivisten der letzten Stunden“ der einstigen „DDR“ - Ein Jahrzehnt im Vorstand des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e. V. - Eine Stellungnahme zur aktuellen Situation in Leipzig, Leipzig, 2012.

Oliver Kloss: Die Behandlung der ostdeutschen Machteliten im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Seoul, 2009; Übersetzung in Koreanisch: Koreanisch-Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Ed.): Ostdeutsche Machteliten vor und nach der Wiedervereinigung Deutschlands - Lehren für Korea./ German Unification and Power Elites in the East Germany - Lessons for the Korean Unification. Seoul, Hanul Books, 2011, ISBN 978-89-460-5312-0, pp. 15-56. Koreanischer Text.

Oliver Kloss: Revolutio ex nihilo? Zur methodologischen Kritik des soziologischen Modells "spontaner Kooperation" und zur Erklärung der Revolution von 1989 in der DDR, in: Heiner Timmermann (Hrsg.): Agenda DDR-Forschung. Ergebnisse, Probleme, Kontroversen. (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen. Band 112) Muenster, LIT Verlag, 2005, ISBN 3-8258-6909-1, S. 363 - 379 + Ergänzender Anhang A - F.

Oliver Kloss: Der Dresdner Aufruf zum 13. Februar 1982, in: Forum Politikunterricht, Heft 1 (2013). Hrsg. von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung - Landesverband Bayern, ISSN 0941-5874, S. 41 f. 

Oliver Kloss: Von der Überwindung der Mauer. Vortrag zum deutschen Nationalfeiertag 2001, gehalten am Goethe-Institut Alexandria zum 4. Oktober und am Goethe-Institut Kairo zum 9. Oktober 2001.

Kurzbeschreibung

Als Schüler besuchte Oliver Kloss die Junge Gemeinde, nahm an einem Rudolf-Bahro-Lesekreis teil und erfuhr auf Reisen in die CSSR vom Prager Frühling. In der Nacht vor dem Nationalfeiertag der DDR, dem 7. Oktober 1978, spielte er mit einem Freund dem Staat einen ersten Streich: Sie zogen gehisste Staatsflaggen in der Südvorstadt Dresdens auf halbmast und amüsierten am Morgen darauf die zur Demonstration geleiteten Schulklassen. Am Institut für Lehrerbildung bemühte sich die Staatssicherheit um die Anwerbung des 17-Jährigen. Anfangs verwundert wie verängstigt, schränkte er infolge des Ausbleibens erwarteter  strafrechtlicher Erpressung den Kontakt zunehmend bis zur endgültigen Verweigerung ein. Am Ende des nächsten Studienjahres wurde er von der Fachschule aus "disziplinarischen Gründen" zu "zwei Jahren Bewährung in der Produktion" exmatrikuliert. Um der Arbeitspflicht nachzukommen, nahm er Hilfsarbeiten an. Er entschloss sich einstweilen gegen den Ausreiseantrag, um dem Staate noch effektiv schaden zu können. Der damals 19-Jährige fand Kontakt zur "Initiative zu einem Sozialen Friedensdienst", suchte aber nach einer Protestaktion ohne der Organisationsformen von Staat und Kirche. So entwarf er zusammen mit anderen ein Flugblatt, den "Aufruf zum 13. Februar 1982", der zu einer illegalen Versammlung an der Frauenkirche zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens aufrief. Nach ersten Verhören und Drohungen durch die Stasi wurde die Aktion, mit überwiegender Zustimmung der Initiatoren, von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche integriert und von der Frauenkirche in die Kreuzkirche verlegt. Tausende Menschen nahmen am Forum Frieden teil, der größten Veranstaltung staatskritischer Friedensbewegung. Die Staatssicherheit führte über Oliver Kloss und andere Beteiligte den Operativen Vorgang "Ruine". Ab 1982 studierte er am Theologischen Seminar Leipzig. Später stellte er doch einen Ausreiseantrag, um im Westen ein minder sprachintensives Studium wählen zu können. Die Stasi nahm Oliver Kloss wieder ins Visier als er 1986 zu den Gründungsmitgliedern der Arbeitsgruppe Menschenrechte in Leipzig gehörte, die später neben dem Arbeitskreis Gerechtigkeit zu den wichtigsten Gruppen in Vorbereitung der Montags-Demonstrationen 1989 zählte. Später trat er der Initiative Frieden und Menschenrechte bei, zu der seit 1986 Kontakte bestanden.

Stasi-Dokumente für den Schulunterricht

Dokumente aus Beständen der Bezirksverwaltung Dresden: Die Überwachung der Friedensforen in Dresden

In einem Bericht hielten Stasi-Mitarbeiter den Aufruf und die Umstände seiner Verteilung fest.  Über das Friedensforum erstellte die Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) für den Leiter der Bezirksverwaltung Generalmajor Böhm am 19. Februar 1982 einen ausführlichen Bericht über das Friedensforum. Das Friedensforum in der Dresdener Kreuzkirche hat sich in den Folgejahren zu einem wichtigen Anlaufpunkt für junge Menschen entwickelt, die sich für Frieden engagieren wollten. Die Stasi beobachtete Vertreter der Kirche und der Friedensinitiativen in operativen Personenkontrollen und bemühte sich um die Anwerbung inoffizieller Mitarbeiter. Ein Beispiel für die umfassende Überwachung ist der detaillierte "Maßnahmeplan zur politisch-operativen Kontrolle und vorbeugenden Verhinderung feindlich-negativer Aktivitäten" für die Kontrolle des Friedensforums am 13. Februar 1984. 

Initiative Frieden und Menschenrechte

Als ein 1985 angesetztes Menschenrechtsseminar von der Kirchenleitung auf Druck der DDR-Führung abgesagt wurde, gründete sich am 24. November 1985 offiziell die Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), die nach dem Vorbild der Charta 77 die Menschenrechtsverletzungen in der DDR dokumentieren und anprangern wollte. Mit ihrer Samisdatzeitschrift "grenzfall" und gezielter Nutzung von Westmedien versuchte sie, ein kritisches Bewusstsein in der DDR-Öffentlichkeit zu schaffen. Sie bestand zunächst aus etwa 30 Aktivisten, darunter Martin Böttger, Bärbel Bohley, Dr. Frank Eigenfeld, Peter Grimm, Ralf Hirsch, Wolfgang Templin, u.a. Die IFM verzichtete im Gegensatz zu den meisten Gruppen auf das "schützende Dach" der Kirche. Im März 1989 veröffentlichte die Initiative einen Aufruf zu ihrer republikweiten Ausweitung, dem in zahlreichen Städten oppositionelle Gruppen Folge leisteten. Nach der Friedlichen Revolution wurde die IFM eine politische Vereinigung und schließlich Teil der Listenverbindung Bündnis 90.

Hier geht es zum Gründungsaufruf der IFM.

Berichte

Audio-Mitschnitte vom Friedens-Forum in der Dresdner Kreuzkirche am 13. Februar 1982:

Teil 1

Teil 2

Audio-Digitalisat aus der Sammlung Oliver Kloss im Archiv der Initiative Frieden und Menschenrechte Sachsen e.V./ IFM-Archiv.
 

Operativer Vorgang "Ruine", der nach Bekanntwerden des "Aufrufes zum 13. Februar 1982" vom MfS angelegt worden war:

Teil 1, 2 und Dokumentation

Den digitalisierten Akten des MfS sind im IFM-Archiv einleitende Bemerkungen vorangestellt.