© Bundesstiftung Aufarbeitung, Klaus Mehner, Bild 89_1104_POL-Demo_64
Themendossiers

Friedliche Revolution und deutsche Einheit

Aufgrund der Montagsdemonstrationen in Leipzig und vielen anderen Städten, der massenhaften Ausreise von DDR-Bürgern über Ungarn und der generellen Verfallserscheinung des SED-Regimes wirkt der Mauerfall rückblickend absehbar, fast als logische Konsequenz. Doch Ende der 1980er-Jahre war keine friedliche Revolution, geschweige denn die deutsche Einheit in Aussicht.

Während Michail Gorbatschow Mitte der 1980er-Jahre Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Transparenz) vorantreibt, um die marode Sowjetunion zu reformieren, wollen die Mächtigen im Palast der Republik nur wenig von Umgestaltung wissen. Anfang 1989 behauptete Honecker sogar, die Mauer werde noch 50 oder 100 Jahre bestehen. Und das, obwohl ihm die katastrophale ökonomische Lage der DDR bekannt war. Die Planwirtschaft war gescheitert, die Arbeitsproduktivität auf 20 bis 25 % des Westens geschrumpft, die Industrieausrüstungen schrottreif, die Qualität der Produkte mangelhaft und die Umwelt zerstört. Die DDR konnte Erich Honeckers Konzept der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" nicht durch die eigene Wirtschaftsleistung finanzieren. Das Leben der Menschen war nach wie vor überwacht, reglementiert und vom Parteistaat bestimmt. Die Unzufriedenheit wuchs stetig.

Bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 machten erstmals gleich mehrere Gruppen von Bürgerrechtlern von ihrem Recht auf Anwesenheit bei der Stimmauszählung Gebrauch. Auch Westjournalisten waren vor Ort und dokumentierten die vermeintlich freien Wahlen. Offensichtlich wurde die Wahlfälschung durch die von Oppositionellen nachgewiesene Diskrepanz zwischen gezählten Stimmen und den Zahlen, die das Parteiblatt „Neues Deutschland“ am darauffolgenden Tag veröffentlichte. Viele Ostdeutsche erfuhren erst jetzt von dem zunehmend wachsenden Netz von Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppierungen, die die politische Unantastbarkeit der SED in Frage stellten.

Von diesem Tag gingen neue, entscheidende Impulse der Bürgerrechtsbewegung aus. Während viele die Hoffnung auf Reformen in der DDR aufgegeben hatten und zu Tausenden die westdeutschen Vertretungen in Warschau, Prag und Budapest besetzten oder direkt über Ungarn (nach dessen Grenzöffnung) in die Bundesrepublik Deutschland ausreisten, formierten sich innerhalb der DDR die Bürgerbewegungen. Sie forderten „Demokratie Jetzt!“, demonstrierten für „ein offenes Land mit freien Menschen“ und suchten den öffentlichen Diskurs. Besondere Bedeutung kam bei dieser Entwicklung den Westmedien zu, die den Oppositionellen aus Ost- und Westdeutschland Gehör verschafften.

Während die Parteispitze der SED, fernab der Realität, das 40-jährige Bestehen der DDR zelebrierte, war die Entwicklung im Land nicht mehr aufzuhalten. Am 9. Oktober, dem Montag nach den „Staatsfeierlichkeiten“, fanden sich 70.000 Männer und Frauen in den Straßen um die Nikolaikirche und auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig ein. Angesichts dieser Menschenmassen blieb dem Chef der Volkspolizei nichts weiter übrig, als seinen bewaffneten Einheiten den Rückzug zu befehlen. Zwar wurde versucht, mit dem Rücktritt Erich Honeckers und der Ankündigung von Reformen und Dialog die Menschen zu besänftigen und die SED-Herrschaft zu retten, doch der Druck der Straße stieg unentwegt. Zwei Tage nachdem sich am 5. November 500.000 Menschen auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz einfanden, um zu demonstrieren, trat die Regierung und schließlich das gesamte Politbüro zurück.

Donnerstag, 9. November 1989, 20:00 Uhr. Die Erkennungsmelodie der Tagesschau rief die Menschen an die Bildschirme. „DDR öffnet Grenze“ lautete die Topmeldung. Überall in Berlin zogen sich Frauen und Männer ihre Jacken und Mäntel an, um sich zögernd und ungläubig auf den Weg zu einem Grenzübergang zu machen. Doch es war wahr, tausende Menschen erzwangen die Öffnung der Übergänge. Das Stadtbild war geprägt von lachenden und vor Glück weinenden Menschen. Die Berliner Mauer, das Symbol der Teilung, war gefallen.

Damit wurde auch die Wiedervereinigung denkbar. Durch den Wahlsieg für die CDU-geführte „Allianz für Deutschland“ bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 wurde deutlich, dass die Mehrheit der DDR-Bürger auf die deutsche Einheit hoffte. Nun ging alles sehr schnell. Um die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung zu schaffen, wurde am 18. Mai 1990 der Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet. Noch am 23. August desselben Jahres beschloss die Volkskammer in einer Sondersitzung den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990. Nach Zustimmung der Alliierten in den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen war der Weg nun endlich frei: In der Nacht zum 3. Oktober feierten tausende Menschen die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nach nunmehr 45 Jahren.