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Prager Frühling 1968

Mit dem "Prager Frühling" verbindet man vor allem seine gewaltsame Niederschlagung in der Nacht zum 21. August 1968. Dabei hatte die Reformbewegung in der damaligen Tschechoslowakei bereits Monate zuvor begonnen. Viele Bürger unterstützen die Forderungen nach einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Mit dem Einmarsch der Truppen aus "sozialistischen Bruderstaaten" wurden ihre Hoffnungen zerschlagen, mehr als hundert Menschen kamen ums Leben. In der DDR verfolgten viele Bürgerinnen und Bürger die Ereignisse mit Bewunderung und Respekt für den Mut der Menschen – und die Gewalt der Soldaten mit Entsetzen.

Menschenmenge vor einem Panzer mitten in Prag
Dieses Bild steht heute stellvertretend für den Prager Frühling. Dabei war der 21. August das blutige Ende einer Reformbewegung, die schon Monate zuvor begonnen hatte. © Bundesstiftung Aufarbeitung/Dieter Prescher_Bild 1

In der Nacht zum 21. August 1968 rollten sowjetische Panzer durch die Tschechoslowakei (CSSR). Mehr als eine halbe Millionen sowjetischer Soldaten nahmen die wichtigsten strategischen Punkte des Landes ein. Die groß angelegte militärische "Operation Donau" sollte den Prager Frühling, die liberale Reformbewegung in der Tschechoslowakei, beenden. Die Panzer waren schnell umringt von hunderttausenden Menschen, die auf die Straßen drängten. Sie wollten ihre neuen Freiheiten verteidigen. Der Protest wurde gewaltsam niedergeschlagen, mehr als hundert Menschen kamen ums Leben. Alexander Dubcek, mit dem vor knapp neun Monaten alles begonnen hatte, befand sich in Moskau unter Arrest.

Bereits Mitte der 1960er-Jahre erfolgte in der CSSR eine gewisse politische Liberalisierung, die sich vor allem in der Kultur bemerkbar machte. Vertreter der Studentenbewegung äußerten 1967 offene Kritik am dogmatischen Stalinismus, später schloss sich auf dem IV. Kongress der Tschechoslowakischen Schriftsteller eine Gruppe von Autoren der Kritik an. Im Januar 1968 musste Antonín Novotný das Amt des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSC) aufgeben, an seine Stelle trat Alexander Dubcek. In ihrem im April 1968 beschlossenen "Aktionsprogramm der KSC" sprach sich die Partei für eine allmähliche Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens aus. Unter dem Druck der Öffentlichkeit verzichtete Antonín Novotný auf das Amt des Präsidenten, sein Nachfolger wurde Ludvík Svoboda. Der Reformprozess innerhalb der Partei griff bald auf die Gesellschaft über. Breite öffentliche Zustimmung erhielt das "Manifest der 2.000 Worte", das die Bürger dazu aufrief, die Reformen voranzutreiben.

Einer der zentralen Akteure des Reformprozesses war Alexander Dubcek. Seine Vorstellungen vom Sozialismus unterschieden sich von denen der Machthaber in Moskau. Er beendete die Pressezensur und führte die Versammlungs- und Redefreiheit ein. Auch die Wirtschaft des Landes sollte angekurbelt werden, indem marktwirtschaftliche und sozialistische Ideen kombiniert wurden. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützte die Reformen. Vereine wurden gegründet oder wiederbelebt und die neuen Möglichkeiten der Selbstorganisation und Mitbestimmung ausgelotet. Manche hegten Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes. Zwar sollte der Führungsanspruch der Partei erhalten bleiben, aber den propagierten "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" sahen viele als eine Möglichkeit des "Dritten Weges", der Freiheiten auch im Kommunismus gewähren sollte. Dabei standen nicht alle Funktionäre der KSC den Reformen positiv gegenüber.

Im Ausland blieb der Reformprozess nicht unbemerkt. In der DDR bemühte sich die Regierung, die Reformen zu diskreditieren sowie Demonstrationen und Flugblätter mit Sympathiebekundungen zu unterdrücken. Doch sie konnte nicht verhindern, dass Teile der Bevölkerung Hoffnung schöpften und sich mit den Aufständischen solidarisierten.

Auch die Sowjetunion stand den Reformbestrebungen kritisch gegenüber. Die Regierung in Moskau sowie die Regierungen in anderen Ostblockstaaten befürchteten eine Konterrevolution in der CSSR und eine Spaltung des Warschauer Paktes. Die Sowjetunion, Ungarn, Polen, Bulgarien und die DDR brachten ihre Soldaten in Stellung. In der Nacht zum 21. August 1968 besetzten die Truppen die CSSR. Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) waren nicht unmittelbar am Einmarsch beteiligt, sie übernahmen Unterstützungs- und Sicherungsaufgaben und verblieben, abgesehen von Einzelpersonen und kleineren Gruppen, auf dem Gebiet der DDR. Dubcek und das gesamte Politbüro wurden verhaftet und in die Sowjetunion gebracht. Wenige Tage später mussten sie das "Moskauer Protokoll" unterzeichnen, das die Reformen rückgängig machte. Gemäß dem Protokoll folgte eine Phase der sogenannten "Normalisierung", Dubcek wurde durch einen moskautreuen Nachfolger ersetzt, frühere Reformer wurden verfolgt und erhielten Berufsverbote.

Viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR verfolgten die Ereignisse im August 1968 mit Bewunderung und Respekt für den Mut der Menschen. Einige ließen sich inspirieren und engagierten sich für Frieden und Demokratisierung in der DDR. Die Stellungnahme der SED, in der die Reformen scharf verurteilt und der Einmarsch als notwendige Maßnahme dargestellt wurden, löste Kritik und Protest aus.