Zeitzeuge

Prof. Dr. Thomas Wieske

Hamburg, Hamburg
* 1958

Freiheit beinhaltet auch immer die Freiheit der Andersdenkenden. (Rosa Luxemburg)

Staaten und Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, über die ausschließliche Wahrheit zu verfügen, sind auf dem besten Weg in eine Diktatur!

Themen
  • politische Haft
  • Flucht/Fluchthilfe
  • Freikauf
Sprache
  • Englisch

Biografisches

1958 in Dessau (Sachsen-Anhalt) geboren, aufgewachsen in Aken (Elbe)
1972 Jugendweihe
1973 Konfirmation
1972–1976 Besuch der Erweiterte Oberschule in Köthen, Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend (FDJ), Abitur
Oktober 1976 Fluchtversuch über Südböhmen, Festnahme im Grenzgebiet, zwölftägige Haft in der ČSSR, Auslieferung an die DDR
Januar 1977 Verurteilung zu 16 Monaten Haft ohne Bewährung wegen versuchter Republikflucht nach §§ 213, 21, 56 Strafgesetzbuch (StGB) der DDR
bis 1978 Haft in Gefängnissen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Halle (Saale), Cottbus und Ost-Berlin
Dezember 1977 bis Februar 1978 Arbeitsverweigerung, Einzelhaft
Februar 1978 Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR nach West-Berlin vermittels der Rechtsanwälte Wolfgang Vogel und Jürgen Stange
1978–1989 Verbot der Einreise in die DDR trotz Tod des Vaters
1978–1983 Studium der Rechtswissenschaften und der Politischen Wissenschaften in Hamburg und Freiburg im Breisgau
1984–1988 Juristischer Vorbereitungsdienst und Großes Juristisches Staatsexamen
1989 Justiziar in einem internationalen Speditionsunternehmen
1989–1994 rechtliche Beratung bei der Gründung von Unternehmen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks
1995 Promotion zum Dr. jur. an der Universität Hamburg
1999 bis heute Professor und Hochschullehrer an der Hochschule in Bremerhaven und Universität Bremen
seit 2011 Mitglied des Menschenrechtszentrums Cottbus e. V. im ehemaligen Zuchthaus Cottbus
2021 Zeitzeuge bei Memory of Nations, Prag
verheiratet (seit 1989), vier Kinder

Kurzbeschreibung

Ich habe die DDR als einen janusköpfigen Staat erlebt, auf den wir einerseits stolz waren (Sport allgemein, Fußball-Weltmeisterschaft 1974 mit dem „Sparwasser-Tor“, Weltfestspiele 1973, Idee einer klassenlosen Gesellschaft) und der uns andererseits von Kindheit an zum Lügen veranlasste, wenn wir dort gut leben wollten. Der DDR-Staat ließ keine Diskussion über seine Grundlagen zu – den „wissenschaftlichen Kommunismus“, den Führungsanspruch der kommunistischen Partei, der SED, und die „unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion“. Dazu kam eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft, die von mir und meinen Mitschülern bereits im Alter von 13 Jahren eine Verpflichtung für einen längeren Militärdienst verlangte, um auf die Erweiterte Oberschule delegiert zu werden. Da ich davon später Abstand nahm, schlossen sich vielfältige Diskussionen und Vorhaltungen an. Diese zeigten mir, dass ein Durchlavieren schlecht möglich sein wird bzw. nur zu einem hohen Preis, den ich nicht zahlen wollte. Deshalb unternahm ich vor dem Eintritt in die Armee einen Fluchtversuch. Die Haftzeit diente dazu, sich die DDR abzugewöhnen und bereit für Neues zu sein. Ich lernte in dieser Zeit eine Vielzahl von Oppositionellen kennen, von bekennenden Nazis bis hin zu den „Biermännern“, den weniger prominenten Unterstützern von Wolf Biermann im Zuge von dessen Ausbürgerung. Als ich 1978 in die Bundesrepublik Deutschland kam, war ich oft mit der Frage konfrontiert: „Wo kommst Du denn wirklich her?“. Nachdem ich mich 1989/90 als Sieger der Geschichte fühlte, frage ich mich nunmehr: In welche Richtung werden wir in Deutschland gehen?