Zeitzeuge

Ralf Weber

Laubusch, Sachsen
* 1955

Es liegt nun an den Menschen selber, ob sich nach der politischen Wiedervereinigung beider deutschen Staaten auch eine gesellschaftliche Einheit herausbildet. (09.11.1989, Brandenburger Tor)

Themen
  • politische Haft
  • Heimerfahrungen
  • Bildung/Erziehung
  • historische Aufarbeitung

Biografisches

24.08.1955 in Burg bei Magdeburg geboren
November 1961 Scheidung der Eltern und Flucht des Vaters in den Westen
bis 1972 Unterbringung in neun verschiedenen Heimeinrichtungen der DDR, darunter das Kombinat der Sonderheime und der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau
Oktober 1972 Inhaftierung in der Untersuchungshaftanstalt Cottbus wegen „Staatshetze“
Juli 1973 Verurteilung wegen „Widerstands“ und „Staatsverleumdung“ zu 20 Monaten Haft
bis März 1975 Verbüßung der Haftstrafe in Ichtershausen (Thüringen)
1978 Straferlass
1979 Einberufung zum Ehrendienst in die Nationale Volksarmee, drei Monate Armeearrest und Entlassung in Unehren wegen Befehlsverweigerung
1981-1991 Tätigkeit als Eimerschmied für Großtagebaugeräte im Gaskombinat Schwarze Pumpe
1990 Einberufung in den ersten frei gewählten Betriebsrat des Gaskombinates
Oktober 1989 Geburt der Tochter, am Tag der Währungsunion 1990 Heirat
1991-1993 Arbeit als Zimmermann, Arbeitsunfall und Berufsunfähigkeit
2005 vollständige Erwerbsunfähigkeit wegen der Berufsschäden und der Folgeschäden der DDR-Haft

Kurzbeschreibung

Ich war sechs Jahre alt, als die DDR-Jugendhilfe mich in einem Heim unterbrachte. Mein Vater war in den Westen geflohen und leistete keine Unterhaltszahlungen, sodass meine alleinerziehende Mutter fast rund um die Uhr arbeiten musste. Militärischer Drill, körperliche und psychische Gewalt in neun verschiedenen Einrichtungen bestimmten meine Kindheit und Jugend. Trotz der Beschwerden meiner Mutter kam ich erst 1972 aus dem Heimsystem heraus. Noch im selben Jahr wurde ich inhaftiert und wegen „Staatsverleumdung“ und „Widerstands“ zu 20 Monaten Haft verurteilt. Im März 1975 wurde ich aus der Jugendstrafanstalt Ichterhausen entlassen. Ich holte meinen Schulabschluss nach und absolvierte eine Schlosserlehre.
Nach den politischen Umbrüchen in der DDR widmete ich mich der Aufklärung meiner Heimunterbringung und Inhaftierung. 1992 wurde ich für die politische Verfolgung und Haftzeit rehabilitiert. Um auch eine Entschädigung für die Heimunterbring unter anderem im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau zu erhalten, ging ich schließlich bis zum Bundesverfassungsgericht – und bekam Recht.
Wegen dieser juristischen Erfolge wurde ich 2010 in den Deutschen Bundestag eingeladen. In einer Anhörung vor den Abgeordneten des Bundestages konnte ich vermitteln, dass es in der Heimerziehung der DDR zu regelmäßigen Verletzungen der Menschenrechte von Kindern gekommen war. Parlament und Bundesländer beschlossen einen Hilfsfonds für DDR-Heimkinder in Höhe von 40 Millionen Euro. Seit 1998 arbeite ich als Zeitzeuge für die Aufklärung der Repressionen der DDR-Jugendhilfe und der SED-Diktatur.

Berichte

"Mit aller Gewalt - Heimerziehung in der DDR": Ralf Weber erzählt, warum er in DDR-Heimen untergebracht wurde. Er berichtet von dem Unrecht, das ihm dort widerfahren ist und von seinem Engagement für Anerkennung und Entschädigung. Artikel von Katrin Jäger, Deutsche Welle, Juni 2012.

"Heimkinder - Opfer zweiter Klasse": Der Spiegel widmet sich in diesem Artikel der juristischen Aufarbeitung des Unrechts in DDR-Kinderheimen und der Entschädigung ehemaliger Heimkinder. Ralf Weber und andere Zeitzeugen, darunter Heidemarie Puls, schildern ihre Kindheitserinnerungen. Artikel von Maximilian Popp und Steffen Winter, Der Spiegel, Februar 2011.