Zeitzeuge

Michael Schuhhardt

Berlin, Berlin
* 1962

Als ich als Jugendlicher das erste Mal von einem Hochhaus in der Leipziger Straße auf Todesstreifen und Kreuzberg schaute,...

Themen
  • Kunst/Kultur/Literatur
  • Medien
  • politische Haft
  • Ausreise/Ausbürgerung

"... wurde mir schmerzlich bewusst, wie unerreichbar der andere Teil meiner Heimatstadt Berlin ist."

Biografisches

1962 in Berlin geboren
1980 Ausbildung zum Maskenbild-Assistenten beim DDR-Fernsehen
1982 Bewerbung zum Fachschulstudium Maskenbild an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden
1983 Zusage zum Studium nach Verpflichtung zum erweiterten Wehrdienst für drei Jahre
1984 Antrag auf Ausreise aus der DDR, fristlose Kündigung beim DDR-Fernsehen und Entzug der Fachschulberechtigung, Fernbleiben der Einberufung und Verweigerung des Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA)
04.11.1984 Verurteilung wegen „Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls“ zu 20 Monaten Freiheitsentzug
1986 Entlassung aus dem Strafvollzug und erneute Bekräftigung des Ausreiseantrages, Verweigerung von Tätigkeiten in staatlichen Einrichtungen im Rahmen der Wiedereingliederung, Tätigkeit als Friedhofsarbeiter und Hilfsarbeiten im Filmtheater
1987 Übersiedlung in den Westteil Berlins, ungelernte Tätigkeiten
1989 dreijährige Ausbildung zum Maskenbildner an der Deutschen Oper Berlin und seit 1992 dort beschäftigt
Beteiligung an Produktionen der Neuen Opernbühne Berlin und Anfertigung zahlreicher, künstlerischer Projekte (Malerei/Skulpturen), Mitwirkung als Zeitzeuge an Lehrveranstaltungen in Schulen im Rahmen des Geschichtsunterrichts

Kurzbeschreibung

Trotz schmerzlicher Trennung von Freunden und Familie und guter Berufsperspektiven entschloss ich mich, die DDR zu verlassen. Es folgten heimliche Spaziergänge an der Mauer und quälende Fluchtgedanken. Im Oktober 1984 stellte ich einen Antrag auf Ausreise aus der DDR. Innerhalb eines Monats drohte mein bisher geregeltes Leben gänzlich aus den Fugen zu geraten. Mit sofortiger Wirkung wurde mein Arbeitsverhältnis gekündigt. Von nun an war ich unwürdig, beim Fernsehen der DDR zu arbeiten – ein Massenmedium, dessen Widersprüche ich bei meiner zweijährigen Tätigkeit auf und hinter dem Bildschirm alltäglich erfahren hatte. Folglich erteilte man mit eine Absage zum Fachschulstudium Maskenbild an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Anfang November 1984 plante man meine Einberufung für den erweiterten Wehrdienst. Fest entschlossen verweigerte ich den Einberufungsbefehl mit all seinen Konsequenzen. Mit der Inhaftierung am 04. November 1984 erlebte ich den bisher dunkelsten Tag meines Lebens. Nach der Untersuchungshaft wurde ich zu 20 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Mein sehnlichster Wunsch, vom Strafvollzug aus in den westlichen Teil Deutschlands abgeschoben zu werden, blieb trotz Bemühungen unverwirklicht. So wurde ich 1986, nach Beendigung der Haftzeit, schweren Herzens erneut in den DDR-Alltag entlassen. Nach konsequenter Bekräftigung des Ausreisewunsches passierte ich sehr erleichtert am 21. Juli 1987 die Passkontrolle im Tränenpalast am Bahnhof Berlin-Friedrichstraße.

Im Jahr 2009 kehrte Michael Schuhhardt zu den Orten seiner Geschichte zurück: Er besuchte die frühere U-Haftanstalt in der Berliner Keibelstraße und das Notaufnahmelager Marienfelde, wo sich heute die Erinnerungsstätte Noaufnahmelager Marienfelde befindet.