Zeitzeuge

Michael Kleim

Leipzig, Sachsen
* 1960

Der Augenblick ist ein Diener der Ewigkeit.

Themen
  • Opposition/Bürgerrechtsbewegung
  • Kirche
  • Jugendkultur

Biografisches

1960 in Crimmitschau (Sachsen) geboren
1962 Tod des Vaters, Mutter arbeitet als Unterstufen-Lehrerin und zieht ihre beiden Kinder allein auf
1967 Einschulung in Ponitz bei Altenburg
1979 Abitur, im Anschluss Praktikum auf einer Krebsstation im Krankenhaus Crimmitschau
1979-1981 Grundwehrdienst bei der Bereitschaftspolizei in Basdorf bei Berlin
1981-1982 Hilfsjobs im Gesundheitswesen in Crimmitschau
1983-1989 Studium der evangelischen Theologie an der kirchlichen Hochschule in Naumburg
1990 nach einem Jahr Vikariat in Altenburg mehrere Monate ohne feste berufliche Bindung in Berlin
1991 Wiedereinstieg in den kirchlichen Dienst durch eine Pfarrstelle in Sonneborn bei Gotha (Thüringen)
seit 1995 als Jugendpfarrer in Gera tätig
Juni 2023 Verabschiedung aus dem Pfarrdienst
verheiratet, zwei Kinder

Kurzbeschreibung

Michael Kleim wuchs im Einklang mit der herrschenden Ideologie auf und war während der Schulzeit in der FDJ aktiv. Erste Irritationen entstanden, als er sich der subkulturellen Tramperbewegung anschloss. Lebenskulturelle Alternativen, spirituelle Erfahrungen und gesellschaftskritische Ansätze wurden für ihn immer wichtiger. Nach dem Grundwehrdienst distanzierte er sich endgültig von der Diktatur. 1982 ließ er sich taufen und nahm Kontakt mit der kirchlichen Friedensbewegung auf. Bereits kurz nach Beginn seines Theologiestudiums an der kirchlichen Hochschule in Naumburg engagierte er sich im Friedenskreis der Studentengemeinde, später bei Menschenrechtsgruppen. Michael Kleim war überregional aktiv und Autor mehrerer Samisdat-Blätter. Internationale Kontakte bestanden zu "Charta 77", zur ungarischen Opposition, nach England, den Niederlanden, in die Bundesrepublik Deutschland und nach Kanada. Kleim arbeitete an Konzepten für eine europäische Friedensordnung, diskutierte die offene deutsche Frage und die Demokratisierung der Innen- und Außenpolitik. Er unterstütze blockübergreifende Initiativen. Die Aufarbeitung des Stalinismus brachte er durch illegale Seminare und Samisdat-Veröffentlichungen voran.
Nach der Friedlichen Revolution blieb Michael Kleim dem Bereich der Menschenrechtsarbeit verbunden. Er versteht darunter gleichermaßen unter anderem seinen Einsatz gegen das Erstarken rechtsradikaler Gruppen als auch für eine liberale Drogenpolitik.
Durch seine Kontakte in subkulturelle Szenen der DDR konnte Michael Kleim immer wieder auch einen DDR-spezifischen Drogengebrauch wahrnehmen. In den letzten Jahren hat er zum Thema "Drogen in der DDR" recherchiert und beispielsweise Aspekte des legalen Gebrauchs von Alltagsdrogen sowie des staatlichen Missbrauchs von Drogen einbezogen.

Berichte

"'Ich bin ein strikter Gegner der Prohibition'" – Dirk Netter hat Michael Kleim zu Drogen und Gegenkultur in der DDR befragt. Artikel im Magazin Lucys Rausch, 01.06.2022.

"Wenn Pfarrer zu Zielscheiben werden" – Bericht über die Dokumentation "Kreuz ohne Haken", in der u. a. Pfarrer Michael Kleim porträtiert wird. Artikel von Heike Hupertz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), 04.09.2017.

"Geschichte in Naumburg. Stasi-Telegramm nach Berlin" – Die Demonstration von Studenten des Katechetischen Oberseminars am 02.02.1988 auf dem Naumburger Marktplatz dauerte nur zwei Minuten: Michael Kleim erinnert sich an die Auflösung und die Maßnahmen der Staatssicherheit. Artikel von Albrecht Günther im Naumburger Tageblatt, 02.02.2017.

"Jugendpfarrer Kleim aus Gera: 'Die DDR war ein konservativer, spießiger Staat'" – Michael Kleim bietet im Interview mit Niels Seehase einen Einblick in sein Leben in der DDR. Ostthüringer Zeitung, 11.06.2014.

Michael Kleim: DDR-Initiative gegen die Todesstrafe

Während die Bundesrepublik 1949 mit Geltung des Grundgesetzes die Todesstrafe abgeschafft hatte (die alliierten Gerichte konnten allerdings gegen NS-Verbrecher diese weiterhin vollstrecken), blieben in der DDR bis zum 17. Juli 1987 Exekutionen juristisch möglich. Zahlreiche Hinrichtungen wurden von sowjetischen Behörden und von DDR-Gerichten aus politischen Gründen angeordnet.

Weitgehend unbekannt ist, dass es eine Initiative von Dissidenten gegen die Todesstrafe gab, bevor die DDR-Führung die Möglichkeit zur offiziellen staatlichen Tötung aus dem Gesetzbuch strich. Im Oktober 1986 wurde unter der Überschrift "Abschaffung der Todesstrafe! Jetzt!" ein Flugblatt verbreitet. Initiator waren oppositionelle Gruppen aus Naumburg, die über Samisdat (Untergrundzeitungen), kirchliche Kanäle, Friedens- und Menschenrechtsgruppen ihre Idee veröffentlichte. Gefordert wurde dabei eine grundsätzliche Abkehr vom staatlichen Töten. So heißt eine Forderung im Flugblatt "Sie (die DDR) strebt innerhalb des RGW (d.h. des sozialistischen Lagers), innerhalb der UNO und anderen internationalen Organisationen an, dass andere Länder diesem Beispiel folgen und es zu einer weltweiten Ächtung der Todesstrafe kommt." Auch staatlichen Stellen wurden diese Forderungen zugeschickt.
 
Es war für die DDR-Opposition deshalb eine große Überraschung, dass etwa acht Monate später die Todesstrafe in der DDR tatsächlich abgeschafft wurde. Natürlich hatte die DDR-Führung die Initiative gegen die Todesstrafe offiziell totgeschwiegen und jeglichen Bezug dazu verleugnet. Und dennoch war es ein moralischer Sieg der Opposition. Die Tradition des Verschweigens dieser wichtigen Initiative setzte sich allerdingsbis heute fort, die mutige Oppositionsinitiative wird leider nie erwähnt.

Originalflugblatt aus der DDR, Oktober 1986


Der Kampf gegen Rechts
Pfarrer Michael Kleim engagiert sich in seiner Kirchengemeinde in Gera gegen rechte Gruppierungen. Sein Einsatz für Freiheit und Demokratie ist ihm heute so wichtig wie damals in der DDR.
Text von Maren Perschke, Studentische Mitarbeiterin, und Lena Jaeschke, FSJ im politischen Leben, bei der Bundesstiftung Aufarbeitung, September 2017.

Michael Kleim wurde 1960 in Crimmitschau geboren. Nach seinem Abitur und dem Grundwehrdienst bei der Bereitschaftspolizei distanzierte er sich endgültig von der SED-Diktatur. Er studierte von 1983 bis 1989 evangelische Theologie an der kirchlichen Hochschule in Naumburg. Während seines Studiums war er im Friedenskreis der Studentengemeinde und in Menschenrechtsgruppen aktiv. 1995 kam er als Stadtjugendpfarrer nach Gera, wo er heute als Pfarrer in der St. Trinitatis Kirche tätig ist. Im Stadtbild Geras zeigt sich die Präsenz rechtsradikaler Propaganda bereits seit vielen Jahren, zum Beispiel durch Aufkleber mit eindeutig rechtsradikalen Parolen. Auch mit Festivals wie „Rock für Deutschland“ macht die Stadt mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam.  Viele Einwohner betrachten diese wachsende Präsenz mit Entsetzen, so auch Michael Kleim.
Mit großem Elan engagiert Michael Kleim sich gegen Rechts. Dabei lässt er nichts unversucht, um auf die Gefahren, die vom rechten Rand der Gesellschaft ausgehen, hinzuweisen. Einem Aufmarsch der rechten Gruppierung „Der dritte Weg“ zum Maifeiertag setzte er Glockengeläut entgegen – traditionell eine Warnung vor Gefahren. Michael Kleim zeigte sich schockiert darüber, wie die Gruppierung Anklänge zum Nationalsozialismus sucht.
Durch sein langjähriges Engagement ist Michael Kleim ins Visier der rechten Anhänger geraten. Die zunächst eher abstrakten Drohungen im Internet, wurden durch nächtliche Anrufe real. Mit der Zeit musste er lernen, dass er Leuten bekannt ist, die gegen ihn arbeiten. Für ihn scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Bereits in jungen Jahren in der DDR wurde er von der Staatssicherheit überwacht. War er doch froh, seit dem Fall der Berliner Mauer die permanente Überwachung und Bedrohung los zu sein, käme heute auf einmal alles wieder, so Michael Kleim. Damit umgehen zu müssen, ist seiner Aussage nach „heftig“. Sich zurückzuziehen und aufzugeben, komme für ihn aber nicht infrage. Dem Kampf für die Freiheit fühle er sich seit jeher verpflichtet. Vielmehr müsse er sich wohl an den Gedanken gewöhnen, dass die Furcht ein Teil seines Lebens ist. Doch nicht nur die Präsenz von der rechten Gruppierungen, sondern auch das Aufkommen neuer Kräfte, wie der AfD, sieht er als eine Gefahr an, die Gemeinden und Gesellschaften spalten kann. „Freiheit hat ihren Preis. Sie fällt nicht vom Himmel, sondern muss erstritten und verteidigt werden.“ – nach diesem Motto lebt er und vertritt die Werte der Kirche gegen Rechts.

In der ARD-Dokumentation „Kreuz ohne Haken“ schildert Pfarrer Michael Kleim, wie die extreme Rechte die Kirchen bedrängt.