Zeitzeuge

Andreas Ilse

Finne, Sachsen-Anhalt
* 1961

Man sollte seine Wahrheit anderen nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen, sondern wie einen Mantel halten, dass sie hineinschlüpfen können. (nach Max Frisch)

Themen
  • Kirche
  • Opposition/Bürgerrechtsbewegung

Biografisches

1961 in Halle (Saale) geboren
1976 Mitarbeit in Sommerlagern der "Aktion Sühnezeichen"
1978-1981 Ausbildung zum BMSR-Mechaniker, Verweigerung der Schießausbildung
1979 Waffendienstverweigerung bei der Musterung
1981-1983 Abendschulabitur, Mitgründung des Arbeitskreises "Innenstadt Halle" zur Rettung dieser vor geplantem Abriss und Verfall, Heirat und Geburt der ersten Tochter
1982-1986 Arbeit als Betriebsschlosser an der Universität Halle
1983-1985 Bausoldat in Prora (Rügen), 18 Monate kaserniert fern der Heimat, danach Mitarbeit im Arbeitskreis ehemaliger Bausoldaten
ab 1986 Studium „Wissenschaftlicher Gerätebau“ an der Universität Jena, Mitgründung der Veranstaltungsreihe „Künstler für Andere“ in Jena und Halle
1989/90 Mitinitiator der Bürgerinitiative Paulusviertel Halle, Mitgründung des Friedenskreises Halle, Leiter der Zivildienstverwaltung im Bezirkes Halle
ab 1991 Regionalbetreuer des Bundesamtes für Zivildienst in Thüringen; Mitgründer der Interessengemeinschaft „Konfliktarme Schiene“, der Bürgerinitiative „Finne Gegenwind“ und anderer Initiativen
ab 1994 Mitglied der Synode der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen und später der Förderationssynode zur Vereinigung zweier Landeskirchen
ab 2011 Berater des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben und Aufbau des Bundesfreiwilligendienstes in Thüringen, Mitarbeit im Vorstand des Thüringer Archivs für Zeitgeschichte

Kurzbeschreibung

Andreas Ilse verweigerte in der DDR den Waffendienst. Dies führte schon während der Lehre in den Buna-Werken zu Konflikten, denn zur Lehr- gehörte auch die Schießausbildung. Als Bausoldat war er für 18 Monate am Militärstandort Prora kaserniert und "schippte" dort auf der Insel Rügen am neuen Fährhafen Mukran mit vielen anderen Waffendienstverweigerern. Die "hohe Konzentration feindlich-negativer Kräfte" führte 1984 zur Aufdeckung des Wahlbetruges bei der dortigen Kommunalwahl: Im Wahllokal der Nationalen Volksarmee (NVA) wurden mehr Nein-Stimmen ausgezählt als für die gesamte Insel Rügen offiziell veröffentlicht. Kurz danach traf der Verteidigungsminister mit den beiden Beschwerdeführern Stefan Gehrt und Andreas Ilse in Prora zusammen. Ein Novum, denn bisher wurde die Existenz der Verweigerer in Uniform verschwiegen, die Jugend der DDR hatte "wehrbereit" zu sein. Nach der Entlassung gründeten ehemalige Proraer Bausoldaten ein DDR-weites Netzwerk, das sich mit Friedensfragen und einem kritischen Umgang mit der Wehrpolitik befasste. Ziel war es, junge Menschen bei der Entscheidung ihrer Wehr- und Waffendienstverweigerung zu begleiten und sich für die Einführung eines zivilen Ersatzdienstes in der DDR einzusetzen. Nach dem friedlichen Umsturz wurde im Frühjahr 1990 der Zivildienst in der DDR eingeführt, Andreas Ilse wurde für den damaligen Bezirk Halle die Leitung des Zivildienstes übertragen. Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 arbeitete er beim Bundesamt für Zivildienst und beriet und betreute Kriegsdienstverweigerer in Thüringen.

Berichte

Andreas Ilse schildert den Alltag als Bausoldat und geht auf die Aufdeckung des Wahlbetrugs 1984 ein. Der Bericht kann >>hier<< nachgelesen werden.

"Der Sand im Getriebe der NVA": Zeitungsartikel über die größte Einheit unbewaffneter Bausoldaten auf der Insel Rügen in den 1980er Jahren. Veröffentlicht auf www.mitteldeutsche-kirchenzeitung.de, Matthias Holluba, 2011.

"Wir waren damals Pazifisten in Uniform": Der Zeitungsartikel berichtet von dem Besuch von Andreas Ilse im Jahngymnaisum. Veröffentlicht auf www.volksstimme.de, Lion Grote, 2011.