Zeitzeuge

Ulrike Findeis geb. Schiller

Dresden, Sachsen
* 1943

Man kann nicht zwei Herren dienen.

Themen
  • Bildung/Erziehung
  • Kirche

Biografisches

21.10.1943 in Wildschütz, Kreis Liegnitz, (Schlesien) geboren
09.02.1945 Flucht in einem Treck mit der ganzen Dorfgemeinschaft nach Westen
23.02.1945 Ankunft des Trecks im sächsischen Casabra, Kreis Oschatz; Zuweisung einer Neubauernstelle auf Bodenreformland
1950-1958 Grundschulzeit in Naundorf, Kreis Oschatz
Dezember 1957 Zulassung zum Besuch der Erweiterten Oberschule, Entscheidung  zur Konfirmation und Absage an die Jugendweihe
Februar 1958 Rücknahme des Zulassungsbescheides zur Oberschule
April 1958 Ausschluss zum Besuch der Mittelschule, Verhinderung irgendeines Ausbildungsvertrages im Kreisgebiet
ab September 1958 Beginn einer Krankenpflegerausbildung im Nachbarkreis Riesa, weitere Fachschulausbildung in Arnsdorf bei Dresden; während der Tätigkeit als Krankenschwester Besuch der Volksschule in Kamenz mit Abschluss der Mittleren Reife
1966 Heirat, vier Kinder, durchgehende Tätigkeit als Krankenschwester
seit 2007 im Ruhestand in Dresden lebend

Kurzbeschreibung

1945 musste die Familie von Ulrike Findeis aus Schlesien fliehen. Sie ließen einen landwirtschaftlichen Betrieb zurück und der Wiederanfang im sächsischen Casabra war sehr schwer. Nicht zuletzt aufgrund der bedrückenden wirtschaftlichen und politischen Umstände motivierten die Eltern ihre Kinder, erfolgreiche Schulabschlüsse zu erreichen. In der achten Klasse entschied sich Ulrike für die Konfirmation. Trotz eines sehr guten Schulzeugnisses wurde sie daraufhin von allen weiterführenden Schulen ausgeschlossen. Eine Berufsausbildung im Landkreis wurde ihr verwehrt. Um Einsprüche des Vaters abzuwehren, wurde ein schon ausgestelltes Abschlusszeugnis auf Anweisung des Schuldirektors verändert. Aus dieser Zeit (1957/58) existieren einmalige Dokumente, in denen der Staatsapparat unverhohlen seine Macht ausdrückte. Mit diesem Willkürakt scheute er sich nicht, den Lebensweg eines Kindes zu zerstören.

"Ich wollte doch nur konfirmiert werden"

Als Ulrike Findeis 13 Jahre alt war, entschied sie sich gegen die Jugendweihe. Sie wollte konfirmiert werden. Damals ahnte sie nicht, was für folgenschwere Konsequenzen diese Entscheidung nach sich ziehen würde. Sie musste nach der 8. Klasse die Schule verlassen und durfte auf Grund ihrer vermeintlichen „Defizite“ hinsichtlich ihrer politischen Einstellung keine weiterführende Schule besuchen. In einem Interview berichtet Ulrike Findeis, wie der staatliche Eingriff erbarmungslos ihre Kindheit, ihren Bildungsweg ihr Leben beeinflusste. Das Interview wurde in den Räumen der Bundesstiftung Aufarbeitung in Berlin am 9. August 2012 aufgenommen.

Das Inteview führten Sophia Ihle und Matthias Buchholz
Kamera und Schnitt: Jens Dienert

Weitere Materialien

Wie viele iher Mitschüler erhielt der Vater von Ulrike im Dezember 1957 ein Schreiben des Direktors der Oberschule Oschatz. Mit Freude teilte der Direktor mit, dass Ulrike die Aufnahme in die weiterführende Schule bewilligt wurde. Wenige Wochen später jedoch erreichte den Vater erneut ein Schreiben, in dem die Zusage zurück gezogen wurde. Es habe sich "herausgestellt", dass Ulrike "trotz guter gesellschaftlicher Arbeit und guten wissenschaftlichen Leistungen in einer sehr entscheidenen Frage unklar" sei und die "notwendige politische Reife, die den Besuch einer Oberschule unseres sozialistischen Staates" rechtfertige, "vermissen" lasse.

Es blieb nicht nur bei dieser Absage. Es folgte ein mehrere Monate andauernder Briefwechsel zwischen dem Vater und verschiedenen staatlichen Einrichtungen.

Kopien der Original-Dokumente können hier herunter geladen werden:

Schulkorrespondenz: Download (PDF)