Zeitzeuge

Geralf Pochop

Torgau, Sachsen
* 1964

Punk war das Beste, was uns in der DDR passieren konnte. Wir wurden diskriminiert, gejagt und willkürlich weggesperrt, trotzdem waren wir freier als alle anderen. Es war die intensivste Zeit meines Lebens.

Themen
  • Kunst/Kultur/Literatur
  • politische Haft
  • Ausreise/Ausbürgerung
  • Jugendkultur

Biografisches

1964 Geburt in Halle (Saale)
1980-1983 Ausbildung zum Funkmechaniker
1982 stille Hausbesetzung, erste Kontakte zur DDR-Punkszene und zur Friedensbewegung, erste Verhaftung wegen des Tragens eines Aufnähers „Schwerter zu Pflugscharen“
1983 Teilnahme an Demonstrationen der Friedensbewegung, Entschluss zur Wehrdienstverweigerung, Besuch des ersten DDR-weiten Punkfestivals, erste Hausdurchsuchung, Verhöre durch die Staatssicherheit in der Haftanstalt „Roter Ochse“ in Halle (Saale)
ab 1984 aktives Mitglied der DDR-Punkbewegung, subkulturelle Konzertorganisationen im kirchlichen Raum, Berufsverbot, Gelegenheitstätigkeiten wie Galerieaufsichtskraft, Siebdruckhelfer, Gasleuchtenwärter, Mitarbeiter der Zentralspüle in Leuna
1986 massive Anwerbungsversuche als Inoffizieller Mitarbeiter durch die Staatssicherheit
1987 Stellung eines Ausreiseantrags
7. Oktober 1987 Verhaftung und Verurteilung zu sechsmonatiger Haftstrafe wegen angeblicher ''öffentlicher Herabwürdigung, Verleumdung und Beleidigung des Staates, staatlicher Institutionen und ihrer Mitarbeiter''
1988 Haftentlassung, Mitorganisator von Punk-Konzerten, Unterzeichner etlicher Protesterklärungen, Mitautor und -verteiler der Untergrund-Zeitung „mOAning star“
Mai 1989 Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland kurz vor den letzten DDR-Kommunalwahlen im Zuge der Aktion „Symbol 89“ der Staatssicherheit
1989-1991 Reisen durch Europa
1991-2003 Mitbetreiber des Schallplattenladens „Schlemihl Records“ und Gründer des gleichnamigen Musiklabels (später „Saalepower Records“)
2003-2005 Reise durch Asien
2000 bis heute Autor diverser Interviews und Artikel zum Thema „DDR-Punk“ in verschiedenen Fanzines und freien Radiosendern, 2018 erste Buchveröffentlichung
2011 Aufhebung des DDR-Urteils und Rehabilitierung, Anerkennung als politischer Gefangener, 2017 berufliche Rehabilitierung
seit 2011 Zeitzeugenreferent, seit 2012 Forschungsauftrag
 

Veröffentlichungen (Auswahl)

Geralf Pochop: Zwischen Aufbruch und Randale. Der wilde Osten in den Wirren der Nachwendezeit. Berlin: Hirnkost Verlag KG, 2021.
Geralf Pochop: Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression. Berlin: Hirnkost Verlag KG, 2018.
Das Buch ist auch als spezielle Edition in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung (Band 10263) erschienen.

Beteiligung an Anthologien:
diverse wiederveröffentlichte Artikel in: Dirk Moldt (Herausgeber): mOAning star. Eine Ostberliner Untergrundpublikation 1985-1989. Berlin: Schriftenreihe der Robert-Havemann-Gesellschaft. Band 10, 2005.

Kurzbeschreibung

Der Zeitzeuge Geralf Pochop bezeichnet das Leben als Punk in der DDR als seine intensivste Zeit.
In dem Buch „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“ hat er seine Erlebnisse und Erinnerungen festgehalten. Seine Aufzeichnungen berichten von der Rebellion andersdenkender DDR-Jugendlicher und den Repressalien, die sie aufgrund ihrer unangepassten Lebensweise, ihres Musikgeschmacks und ihres ''unsozialistischen'' Aussehens vom System der DDR mit voller Gewalt erfuhren.
Rückblickend sagt er: Der Staat hatte uns über etliche Jahre wegen unseres Musikgeschmacks und unseres Äußeren wie Feinde behandelt. Diese Rolle hatten wir angenommen. Wir hatten uns stark politisiert und nutzten unsere schwer erkämpften Freiräume nicht mehr nur, um unser Lebensgefühl auszukosten, sondern bauten ein Netz aus komplett autonomen Strukturen auf. Wir fanden Wege, den Wehrdienst zu verweigern, unsere Meinung auch öffentlich zu sagen und wir redeten, wie uns der Schnabel gewachsen war. Wir gingen nicht zur Wahl, weil wir diese nicht als solche anerkannten. Unserer Kompromisslosigkeit hatte der Staat nichts entgegenzusetzen.

Apfelmus und Kommunismus. DDR-Punk unterrichtet

Mit dem Video gibt die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie (JoDDiD), eine Einrichtung der Technischen Universität Dresden, Einblicke in die Arbeit des Zeitzeugen Geralf Pochop. Es entstand im Rahmen der Veranstaltung "Spurensuche 2022" (Jugendgeschichtstage) im Sächsischen Landtag.

Berichte

"Selbst gemachte Feinde: Was im einstigen Chemnitzer Stasi-Gefängnis ein Zeitzeuge über den Punk in der DDR verriet" – Artikel von Tim Hofmann, Freie Presse, 08.03.2024

"Ich war siebzehneinhalb und total verliebt" – Als Punks wurden Geralf Pochop und seine damalige Freundin Daniela von der Stasi überwacht. Auf abenteuerlichen Wegen gelang es ihnen, die DDR wenige Monate vor dem Mauerfall zu verlassen. Artikel von Christoph Gunkel, Spiegel Online, 07.11.2019.