Zeitzeuge

Jürgen Gutjahr

Berlin, Berlin
* 1964

The key of joy is disobedience. / Der Schlüssel zur Freude ist Ungehorsam. (Aleister Crowley)

Themen
  • Kunst/Kultur/Literatur
  • Staatssicherheit
  • Jugendkultur

Biografisches

1964 geboren in Leipzig
1981-1983 Ausbildung zum Bautischler
Mai 1989 Ausreise nach West-Berlin
1991-1993 Ausbildung zum Industriemechaniker
2003-2004 modulare Ausbildung zum IT-Professional
2005-2006 Arbeit als Senior help desk advisor (Elite-Level) in Irland
2006-2010 Teamleitung/IT-Management in der Firma ATOS IT Solutions and Services GmbH
2010 Wegeunfall mit sehr komplexem Verlauf
2017 bis heute Schwerbehinderung als Unfallfolge, Erwerbsminderung 100 %


Veröffentlichungen (Auswahl):

Bücher:
Michael Boehlke, Henryk Gericke (Hg.): Too much future – Punk in der DDR, Verbrecher Verlag, 2007.
Christiane Eisler (Hg.): WUTANFALL – Punk in der DDR 1982-1989: Die Protagonisten damals und heute. Fotografien von Christiane Eisler, transit Verlag, 2017, ISBN-10: 3000560920, ISBN-13: 978-3000560927.

Film:
Spuren des Performativen – Intermedia I, Coswig 1985, ahoc Film + Thomas Claus Medienproduktion 2017.

Musik:
Do-LP „WUTANFALL 1981-83“, Trümmer Pogo 2018.
Do-LP „Notes from the Underground /// Experimental Sounds Behind the Iron Curtain“, Edition Iron Curtain Radio – ICR 02, 2018.

und zahlreiche Bücher, Veröffentlichungen und Artikel in Zeitungen, Magazinen – siehe hier.

 

Kurzbeschreibung

1981 gründete ich in Leipzig die Punkband "Wutanfall" und übernahm dort den Job am Mikro. Als Gründer und Sänger der Band war ich aus Sicht des Ministeriums für Staatssicherheit der Hauptverantwortliche für alles, was bei der Band sowie in deren Umfeld passierte. Die ersten sogenannten Zuführungen waren bereits Ende 1981 und wurden immer häufiger und intensiver. Ich wurde bis zu viermal wöchentlich vorgeladen, zugeführt, verhört sowie physisch und psychisch misshandelt. Mir wurde durch die Zwangsausstellung des Ersatzausweises PM 12 das Reisen in andere Städte der DDR und in das sozialistische Ausland verboten sowie ein Besuchsverbot der Leipziger Innenstadt zu bestimmten Anlässen als Auflage erteilt.
Ende 1983 verließ ich die Band, die sich einige Monate später auflöste. 1984 stellte ich den Antrag auf Ausreise nach West-Berlin. Nach meinem Ausstieg gründete ich das Noise-/Industrial-Projekt "Pffft...!", welches in den Folgejahren ebenfalls für Aufsehen sorgte, zum Beispiel 1985 beim Avantgarde-Festival "Intermedia I". Seit dem neuen Musikprojekt und meinem Ausreiseantrag waren die Repressionen der Staatssicherheit und des Ministeriums des Innern eher psychologischer Prägung – unter anderem mit Arbeitsverbot, Observationen, Strafanzeigen.
Im Mai 1989 wurde mir die Ausreise nach West-Berlin genehmigt. 

Podiumsgespräch mit Jürgen "Chaos" Gutjahr: Gegen alle Mauern – Unangepasste Jugendliche in der DDR der 1970er- und 1980er-Jahre

Der Anpassungsdruck, der auf der Jugend in der SED-Diktatur lastete, war gewaltig. Jugendliche, die sich den Vorschriften und Einengungen ihres Lebens durch die Staatsorgane in Schule, Beruf und Freizeit widersetzten, die sich frei machen und eigene Lebensformen erproben wollten, stießen schnell und hart an die sichtbaren und unsichtbaren Mauern der DDR. Aufgrund ihres „Anderseins“ als Punks oder Friedensaktivistinnen bekamen sie die geballte Macht des Systems zu spüren. Die Auswirkungen auf ihre Jugend und ihre Zukunft waren gravierend: Ausgrenzung von Bildung und Beruf, Stigmatisierung, Verfolgung durch die Stasi und politische Haft.
Das Podiumsgespräch fand am 22.06.2022 in der Bundesstiftung Aufarbeitung statt.

Informationen

Weitere Informationen, Hinweise zu Bildungsmaterialien, Ausstellungen, Büchern und Dokumentarfilmen zum Punk in der DDR finden Sie im Themenschwerpunkt "Jugend in der SED-Diktatur" und auf der Website www.jugendopposition.de.